ZfIR 2023, 298

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1433-0172 Zeitschrift für Immobilienrecht ZfIR 2023 ZfIR-ReportGerhard Schmidberger*

Bodensee Rechtstage 2023 – Tagungsbericht

Ganz im Süden gelegen – der Bodensee. Und dort zu Tagungen einladen? Mutig. Das Institut für Management, residierend in Heidelberg, wagte diesen Schritt. Aber nicht allein, sondern im Verbund mit starken Partnern. Neben den ganz großen aus der Insolvenzverwalterbranche und mit den beiden Landesverbänden der Rechtspfleger von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wurde zum 8. und 9. Mai 2023 zur Fachtagung der südwestdeutschen Insolvenz- und Sanierungsbranche eingeladen. Ein interessanter Mix an Themen fand sich in der Tagesordnung, u. a. aus dem ZVG, was mich bewog, mal wieder das schöne Konstanz zu besuchen. Der Bericht konzentriert sich folglich auf diesen Teilbereich und will die Stimmung wiedergeben.
Die Tagung begann am ersten Tag am frühen Abend mit Prof. Dr. Gerhard Pape. Er trug zur aktuellen Rechtsprechung des BGH mit seiner Auftaktrede vor. Dazu war der Referent geradezu prädestiniert, war er doch beim IX. Zivilsenat, dem „Insolvenzrechtssenat“, bis zu seinem Ausscheiden Ende 2019 dort selbst Mitglied. Zahlreiche Urteile seines ehemaligen Senats wurden präsentiert. Pape konnte sich aber eine Kritik nicht verkneifen. Zum Anfechtungsrecht hätten sich die Pflöcke deutlich verschoben. Anfechtungen seien nunmehr erschwert, damit hadere er etwas. Als Ausgleich bot der Veranstalter im Anschluss einen geselligen Teil mit Abendessen an.
Tag 2 war vollgepackt. Pünktlich um 9.00 Uhr betrat RAin Nora Sickeler das Podium. Sickeler war es vorbehalten, als Gesamtmoderatorin das Programm zu begleiten. Sie durfte durch fünf Themenkreise führen:
Nr. 2: Zwangsvollstreckung, mit den Beiträgen InsO meets Vollstreckung – von gemeinsamen Bestimmungen profitieren (referiert von Josef Neigum, Rechtspfleger am AG Ulm); Mehrwert: Anträge nach §§ 850 ff. ZPO in Vollstreckung und InsO (Wiebke Wilhelm, Rechtspflegerin am AG Konstanz)
Nr. 3: Allgemeines und Aktuelles, das neue Betreuungsrecht (Mariah Levo, Rechtspflegerin am AG Konstanz)
Nr. 4: Insolvenzverfahren, Fallstricke des Eröffnungsverfahrens (Friederike Güttich, RiAG Konstanz und RAin Simone Kaldenbach)
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Dazwischen war eine Panel-Diskussion geschaltet.
Nr. 5: Unternehmensinsolvenzen, Geschäftsmodelle unter Veränderungsdruck in der außergerichtlichen Sanierung und im Insolvenzverfahren (RA Dr. Thorsten Schleich), Sanierungsarbeitsrecht (RA Siegfried Flogaus); Anforderungen an die Betriebsfortführung in der Insolvenz (RA Olaf Spiekermann); der Insolvenzverwalter als Projekt- und Prozessmanager (RA Michael Verken).
Bevor es aber zum Themenkreis Nr. 1 (Zwangsversteigerung) ging, durften zweidimensional Marion Gentges, MdL und Justizministerin BW, sowie Benjamin Strasser, MdB, Parl. Staatssekretär beim BMJ, per Videoabspiel dem Plenum ihre Grußworte zukommen lassen.
Der Themenkreis der Zwangsversteigerung begann dann mit Robert Merz, Versteigerungsrechtspfleger beim AG Albstadt, der mit „Basics des ZVG aus verschiedenen Perspektiven“ in die Immo-Vollstreckung einführte. Die beiden Möglichkeiten der Immobiliarvollstreckung, die das ZVG anbietet, nämlich die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung wurden in ihren Grundzügen dargestellt. Vollstreckungsvoraussetzungen seien der Dreiklang aus Titel, Klausel und Zustellung und gegebenenfalls die Kündigung der Grundschuld mit der sechsmonatigen Wartefrist. Ziel des Verfahrens sei die unsolidarische Gläubigerbefriedigung in der Rangfolge des § 10 Abs. 1 ZVG durch die bestmögliche Verwertung mittels Zuschlags des Grundstücks. Der alles bestimmende Deckungs- und Übernahmegrundsatz wurde erwähnt.
Als Sonderformen der Versteigerung führte der Referent die Versteigerung zum Zwecke der Auseinandersetzung der Gemeinschaft nach § 180 ZVG (trivial Teilungsversteigerung) auf. Dabei sei zu beobachten, dass auch Insolvenzverwalter ab und an zu diesem Mittel griffen, etwa dann, wenn nur einer der Ehegatten wirtschaftlich in die Knie gegangen sein sollte und eine einvernehmliche Lösung mit dem anderen Ehegatten scheitere. Nach § 165 InsO könne der Insolvenzverwalter von sich aus die Zwangsversteigerung betreiben. Er benötige keinen Titel. Im Verfahren sei er Schuldner und betreibender Gläubiger in Personalunion. Aber § 172 ZVG sei in freier Wildbahn nur sehr schwach anzutreffen. Die Besonderheiten nach §§ 173 – 174a ZVG1 wurden aufgezeigt. Noch seltener sei § 175 ZVG (Antrag der Erben) zu erleben. Aber ab und an würde der Fiskus zu diesem Instrument greifen, wenn ein unangenehmes Grundstück eingefangen wurde, z. B. dann, wenn für eine (notleidende) Wohnung Hausgeld zu bezahlen ist und der Fiskus diese in Eigenbesitz genommen hat.
Die Zwangsverwaltung erhalte dem Schuldner die Substanz und sei eine weniger einschneidende Maßnahme. Als Ziel nannte Merz das Herstellen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung, bei Eigentumswohnungen bzw. Teileigentum die Realisierung von Hausgeld, soweit eine Vermietung vorliege bzw. eine Vermietung sich herstellen lasse. Überschüsse aus der Zwangsverwaltung würden zunächst auf die Zinsen der eingetragenen Rechte zugeteilt – Kapitalzahlungen (absolute Ausnahme, so Merz) bedürften eines separaten Beschlusses.
Nahtlos trat RAin Petra Heidenfelder ans Mikrofon und berichtete, wie eine Zwangsverwaltung in echt, also in der Praxis aussieht. Die Zwangsverwalterin müsse ein Gespür für die Immobilie haben. Oft läge der Pfeffer in der Realität und nicht im Rechtlichen. So eine Abwasserkanalverstopfung am Wochenende verlange nach dem Fachbetrieb und weniger nach einer fundierten Rechtsanalyse. Dies stellte sie zum Thema „Zwangsverwaltungen – kalte und reguläre Verwaltung nach ZVG im Vergleich“ voran. Die „kalte“ Zwangsverwaltung, laut BGH die stille,2 wurde definiert.3 Der Insolvenzverwalter treffe mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger eine Vereinbarung, dass der Insolvenzverwalter die Immobilie betreue und die Miete für ihn einziehe. An die Insolvenzmasse sei eine Vergütung geschuldet, die den Mieteinnahmen entnommen werden dürfe. Die „kalte“ und die „echte“ Zwangsverwaltung wurden gegenübergestellt – aber egal ob kalt oder echt, gemeinsam sei bei der Übernahme des Grundstücks oft der fehlende Versicherungsschutz, auch könne bei beiden der Brandschutz Kummer bereiten. Bei der „kalten“ könnten Reparaturen nach eigenem Ermessen und in direkter Absprache mit dem Gläubiger durchgeführt werden, bei der echten stehe § 152 Abs. 1 ZVG dagegen. Hier müsse der Verwalter Reparatur- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen erledigen. Sonderausgaben müsse das Vollstreckungsgericht genehmigen, § 10 ZwVwV. Ein Vorteil bei der „kalten“ sei, man könne der unglücklichen Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats entrinnen.4 Guthaben aus zurückliegenden Abrechnungsperioden sowie verschwundene Kautionen könne der Mieter nur als Insolvenzforderung anmelden – bei der echten Zwangsverwaltung müsse dafür die Masse geradestehen. Und wen wundert‘s, die Rechtsprechung des BFH zur Einkommensteuer sei wenig hilfreich.5 Heidenfelder äußerte die Vermutung, dass u. a. wegen dieser Rechtsprechung ein Punkt im Rückgang der Eingangszahlen von Zwangsverwaltungen gesehen werden könne.6
Die Tagung war ein voller Erfolg. Mit 130 Anwesenden in Präsenz wurde schlagkräftig bewiesen, Präsenz kommt an. Bei den Zwischengesprächen erfährt man Neues, das den 33 Onlinern vorborgen blieb, so etwa, dass ein ZVG-Kommentar der dritten Auflage entgegensieht, ein Handbuch demnächst in ZfIR 2023, 300siebter Auflage auf den Markt kommt, u. a. m. Konstanz hat bewiesen, wenn das Konzept stimmt, hierzu zähle ich u. a. tolles Ambiente, starke Vortragende7 mitbegleitende, unterhaltende Moderation, dass auch ein Veranstaltungsort in wenig zentraler Lage geeignet ist, die Fachwelt anzulocken. Mögen die Bodensee Rechtstage mit ihrer ersten Veranstaltung das werden, was das ebenfalls sehr abseits im bayrischen Allgäu gelegene Fischen für das WEG ist: das Muss für Insolvenzinteressierte und hoffentlich immer gemischt mit einem Schuss ZVG.
*
*)
Dipl.-Rpfl., Heilbronn
1
1)
Hierzu demnächst mehr Beate Schmidberger, InsbürO 2023.
2
2)
BGH v. 10. 6. 2021 – IX ZB 51/19, ZRI 2021, 674 = ZVI 2021, 360.
3
3)
Siehe hierzu auch Jacoby/Felsch, ZfIR 2023, 245 – in diesem Heft sowie Schmidberger, ZfIR 2023, 195 mit dem Bericht zur Jahrestagung der Zwangsverwalter 2023 in Berlin.
4
4)
Zu Nebenkosten: BGH v. 26. 3. 2003 – VIII ZR 333/02, ZfIR 2003, 528 = Rpfleger 2003, 456 (m. Anm. Haut, S. 602); BGH v. 3. 5. 2006 – VIII ZR 168/05, ZfIR 2006, 689 (m. Anm. Zipperer, S. 691) = ZIP 2006,1556 (LS). Zur Kaution bei Zwangsverwaltung: BGH v. 16. 7. 2003 – VIII ZR 11/03, ZfIR 2003, 1012 = ZIP 2003, 1899; BGH v. 9. 3. 2005 – VIII ZR 330/03, ZfIR 2005, 769 (m. Anm. Wedekind, S. 772); BGH v. 11. 3. 2009 – VIII ZR 184/08, ZfIR 2009, 332 (m. Bespr. Wedekind/Wedekind, S. 315), dazu Walke, jurisPR-MietR 10/2009 Anm. Nr. 4; BGH v. 23. 9. 2009 – VIII ZR 336/08, ZfIR 2009, 880 (m. Anm. Depré, S. 882); zur Kaution bei Insolvenz: BGH v. 13. 12. 2012 – IX ZR 9/12, ZfIR 2013, 209 (m. Anm. Hawelka, S. 211) = ZIP 2013, 179.
5
5)
BFH v. 10. 2. 2015 – IX R 23/14, BStBl II 2017, 367 = BFHE 249, 202 = ZfIR 2015, 573 (m. Anm. krit. Onusseit, S. 577 u. Bespr. Schmittmann, S. 545) = ZVI 2015, 464 = HFR 2015, 276 (m. Anm. Ratschow) = NJW 2015, 2524 (m. abl. Anm. Drasdo) = Rpfleger 2015, 576 (m. abl. Bespr. Engels, S. 525) = ZInsO 2015, 1265 (m. Anm. de Weerth) = ZInsO 2015, 819 (mit abl. Bespr. Schmidberger, S. 739), dazu Cranshaw, EWiR 2015, 581.
6
6)
Siehe hierzu Ertle/Schmidberger/Traub, ZfIR 2022, 153.
7
7)
Persönliche Bemerkung: Auf der Rednerliste fanden sich erstaunlich viele junge Gesichter, vor allem akquiriert vom AG Konstanz. Zu verdanken ist diese Nachwuchsgewinnung dem engagierten Stefan Lissner. Chapeau!

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