ZfIR 2022, 566

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1433-0172 Zeitschrift für Immobilienrecht ZfIR 2022 ZfIR-ReportBrigitte Schmolke*

Tagungsbericht zum 48. Fachgespräch des eid in Fischen vom 26. – 28. 10. 2022

Traditionsgemäß fand Ende Oktober 2022 das vom eid, Evangelischer Immobilienverband in Deutschland e. V. jährlich veranstaltete „Fachgespräch zum WEG“, diesmal unter dem Motto „Verwaltungsentscheidungen und pflichtgemäßes Ermessen – Verwaltungsunternehmen auf der Suche nach der goldenen Mitte“ bei bestem Herbstwetter in Fischen statt. Insgesamt nahmen ca. 550 an der Wohnungswirtschaft Interessierte teil, wobei ca. 120 online zugeschaltet waren. Wie jedes Jahr wurden die Teilnehmer herzlich vom ersten Bürgermeister Bruno Sauter willkommen geheißen. In der Begrüßungs- und Jubiläumsrede zum 70. Geburtstag der Veranstalterin gedachte der stellvertretende Präsident, Prof. Martin Häublein, Innsbruck, dem kürzlich verstorbenen Präsidenten Herrn Hans-Christian Biallas mit einer allgemeinen Schweigeminute.
Sodann begann Professor Dr. Jan Lieder, Universität Freiburg, den ersten Plenarvortrag zur Einführung in das Thema mit Betrachtungen zum „Ermessen im Privatrecht“. Der Referent stellte klar, dass im Privatrecht, anders als im öffentlichen Recht (hier § 40 VwVfg und § 114 VwGO), keine Legaldefinition des Er-ZfIR 2022, 567messens bestehen würde. Stets würde Ermessen als gesetzestechnische Möglichkeit angesehen, einem Entscheider die Wahl der Rechtsfolgen zu überlassen. Dem Entscheider sei häufig ein „Ozean“ an möglichen Entscheidungen gegeben, auch freies Ermessen könne rechtmäßig vereinbart werden. Die gerichtliche Kontrolle beurteile die Einhaltung der Grenzen des Ermessens, so bei einer Unterschreitung, wenn ein Handlungsspielraum nicht erkannt werde. Ermessensüberschreitung sei die Ausübung einer Maßnahme, die sich außerhalb der Ermächtigung befände oder gegen andere Rechtssätze verstoße. Beim Ermessensfehlgebrauch verfehle die getroffene Maßnahme den Zweck der Ermächtigung. Im Privatrecht bildeten die §§ 315 ff. BGB die Grenzen der Gestaltungsmacht der Wohnungseigentümerversammlung, die oberstes Willensbildungsorgan sei und als Leitungsorgan die wohlverstandenen Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen habe. Der Verwalter stelle sich als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan dar und müsse im Rahmen seiner Leistungsbestimmung einen angemessenen Ausgleich der Parteiinteressen finden. Es sei die Pflicht des Verwalters, sich bei unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der „business judgement rule“ zu halten, darüber hinaus sei er weisungsgebunden. Er könne jedoch (ähnlich wie in § 37 Abs. 1 GmbHG vorgesehen), eine von mehreren vertretbaren Maßnahmen ergreifen. Bereits hier wurde bekundet, wie wichtig eine ausreichende Informationsgrundlage zur Entscheidung sei, allerdings könnten im Bereich des erlaubten Ermessens auch sachwidrige und unverständliche Motive verfolgt werden.
Prof. Dr. Florian Jacoby, Universität Bielefeld, setzte den Fokus im Rahmen seines Vortrags „Ermessen im Wohnungseigentumsrecht“ auf § 18 Abs. 2 WEG. Hiernach sei Ermessen formell an ausreichende Informationen geknüpft, materiell daran, ob die Maßnahme dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer Rechnung trage. Eine korrekte Jahresabrechnung mit Beschlüssen über Nachschüsse und Anpassungen der Vorschüsse könne auch bei formell fehlerhafter Beschlussfassung bereits Bindungswirkung entfalten (AG Köln v. 19. 7. 2021 – 215 C 6/21). Eine Ermessensentscheidung ohne Information sei anfechtbar und nach Vorlage von Entscheidungsgrundlagen gegebenenfalls neu zu treffen. Der BGH habe bereits Gestaltungsspielräume (Gebot der Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer, BGH v. 17. 10. 2014 – V ZR 9/14, ZfIR 2015, 19 (m. Anm. Greupner, S. 23); Verzicht auf Durchsetzung von Ansprüchen gem. § 1004 BGB auf Beseitigung einer rechtswidrigen baulichen Veränderung, BGH v. 5. 7. 2019 – V ZR 149/18, ZfIR 2019, 860 (m. Anm. Hogenschurz, S. 863); Erhaltungsmaßnahmen zwecks Funktionsfähigkeit notwendig, BGH v. 4. 5. 2018 – V ZR 203/17, ZfIR 2018, 553 (m. Anm. Henke/Singbartl, S. 557); Ablehnung der Abberufung eines Verwalters aus objektiver Sicht nicht vertretbar, BGH v. 25. 2. 2022 – V ZR 65/21) aufgezeigt. In manchen Situationen könne Ermessen des Verwalters nicht ausgeübt werden, z. B. bei der weiteren Schadensermittlung, auch wenn der Bauträger (falsch) darauf hinweise, ein Schaden sei nicht gegeben. Der Referent wies darauf hin, dass Schadensersatzansprüche, die auch nach altem Recht auf verwirklichten Pflichtverletzungen beruhen, bestehen blieben (LG Frankfurt/M. v. 23. 2. 2021 – 2-13 S 12/20; BGH v. 10. 12. 2021 – V ZR 32/21, ZfIR 2022, 466 (LS)), Regressansprüche würden sich in diesen Fällen z. B. gegen den Verwalter gem. § 280 BGB wegen Pflichtverletzung oder gegen den Eigentümer wegen der Verpflichtung zu einer positiven Stimmabgabe nach § 19 Abs. 1 WEG richten.
In den Zenit seines Referats „Entscheidungsmacht aus § 27 Abs. 1 WEG“ stellte sodann Richter am Amtsgericht Dr. Dr. Andrik Abramenko, Idstein, den Anwendungsbereich von § 27 WEG. Der Referent stellte klar, dass es hier nur um Tatbestände gehe, die grundsätzlich der Beschlusskompetenz der Miteigentümer unterfielen und zählte positive Beispiele auf, wie z. B. die Durchführung der Hausordnung, die Regelung der Zufahrt zum Gebäude, das Aufstellen von Schildern, wenn hierdurch keine erheblichen Verpflichtungen resultieren würden. Eine bauliche Veränderung als solche gehöre allerdings nicht dazu. Die Maßnahme müsste untergeordnete Bedeutung haben und kumulativ keine erheblichen Verpflichtungen der Gemeinschaft nach sich ziehen. Letzteres sei in erster Linie finanziell zu sehen, es gebe wohl eine derzeit diskutierte Obergrenze von 5 % des finanziellen Jahresvolumens der Ausgaben, allein der Maßstab von 2 % bis 5 % reiche nicht, da der Maßstab mit der Größe der Anlage wachse. Hinzu kämen weitere Kriterien wie Dringlichkeit. Nach Auffassung des Referenten erweitere § 27 Abs. 1 WEG für den Verwalter die Kompetenz, z. B. kein Notdach, sondern eine bereits endgültige Dachsanierung im Bedarfsfalle durchzuführen. Der Referent führte aus, dass die Verwalter nicht verpflichtet seien, Maßnahmen durchzuführen, sie seien jedoch berechtigt, unter mehreren verschiedenen Maßnahmen die am geeignetsten erscheinende zu wählen, dann allerdings gäbe es neue Haftungsrisiken.
Mit „Erweiterten Kompetenzen als Haftungsfalle für den Verwalter“ beschäftigte sich sodann Richterin am Landgericht Dr. Nicole Reh, Braunschweig, und stellte fest, dass bei vernünftigem Verhalten die Verwalter keine überraschende oder ausufernde Haftung befürchten müssten. Es wurden unterschiedliche Pflichtverletzungen besprochen, z. B. Untätigkeit, auch im Rahmen einer verzögerten Einschaltung der Eigentümer oder die Kompetenzüberschreitung (§§ 675, 667 BGB), bei Fehlinterpretation der Bedeutung einer Maßnahme oder bestandskräftigem Kompetenzentzug, wobei allerdings rechtswidrige, anders als nichtige Beschlüsse, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts zu vollziehen seien. Zur Pflichtverletzung müsse ein Vertretenmüssen hinzutreten. Grundsätzlich sei eine Haftung des Verwalters gegenüber der GdWE gem. § 280 BGB bei Missbrauch der Vollmacht im Innenverhältnis gegeben, im Außenverhältnis jedoch auf Immobilienkauf- und Darlehensverträge beschränkt. Insbesondere wenn der Verwalter die gebotene Beschlussfassung auch durch zögerliches Verhalten verschulde, könnte eine Haftung eintreten.
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin, trug zu „Weisungen an den Verwalter“ vor. Es sei zwischen Weisungen nach § 27 Abs. 2 WEG und jenseits von § 27 Abs. 2 WEG zu unterscheiden. Beschränkte oder erweiterte Rechte und Pflichten müssten aus § 27 Abs. 1 WEG folgen, § 16 Abs. 2 Satz 2 oder § 20 Abs. 1 WEG seien nicht betroffen. Der Referent empfahl Maßnahmenkataloge und festgesetzte Wertgrenzen durch Vereinbarung, Beschluss oder beschlussgenehmigten Verwaltervertrag zur Klar-ZfIR 2022, 568stellung und zur Haftungsbegrenzung für den Verwalter. Nach BGH vom 29. 5. 2020 (V ZR 141/19, ZfIR 2020, 569 (m. Anm. Greiner, S. 574)) könne der Verwalter eine Weisung durch Geschäftsordnungsbeschluss einholen, Wohnungseigentümer könnten nach dem Urteil des BGH vom 20. 11. 2015 (V ZR 284/41, ZfIR 2016, 276 (m. Anm. Rüscher, S. 280)) Weisungen erteilen. Sich ergebenden, beschlossenen Ausweitungen der Kompetenz könne der Verwalter nur durch eine angedrohte Kündigung ggf. mit dem Angebot auf Abschluss eines Verwaltervertrags mit einer höheren Vergütung begegnen.
Rechtsanwalt Dr. David Greiner, Tübingen, klärte die Teilnehmer über die „Beschlussvorbereitungspflicht des Verwalters“ auf. Wie seit jeher habe der Verwalter einen Beschluss ausreichend anzukündigen und vorzubereiten, wobei Aufklärungs- und Hinweispflichten bestünden (BGH v. 29. 5. 2020 – V ZR 141/19, ZfIR 2020, 569 (m. Anm. Greiner, S. 574)), auch wenn gem. § 18 Abs. 1 WEG die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obläge. Der Verwalter hafte für die Einhaltung der Formalien, müsse Handlungsoptionen im Rahmen der für die Ermessensausübung wichtige Informationspflicht aufzeigen, auf Gewährleistungsansprüche und die drohende Verjährung hinweisen (BGH v. 19. 7. 2019 – V ZR 75/18, ZfIR 2020, 104 (m. Anm. Häublein, S. 110)). Ersatzansprüche gegen Vorverwalter, Eigentümer etc. wären unter allen denkbaren Gesichtspunkten zur Beschlussfassung zu stellen, auch wenn diese, wie der Referent vertrat, nicht zwingend unter Wahrung der Einberufungsfrist vorliegen müssten. Der Referent empfahl bei nicht ausreichender Information einen Absenkungsbeschluss nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 WEG fassen zu lassen. Beschlüsse im Interesse von Dritten oder Miteigentümern müsse der Verwalter jedoch überprüfen und gegebenenfalls in eine zur Beschlussfassung geeignete Form bringen. Um dem Verwalter die Hinzuziehung von Sonderfachleuten leichter zu machen, sollten entsprechende Regelungen im Verwaltervertrag implementiert werden, mangels derer der Verwalter die zu seinem Kerngeschäft gehörigen Aufgaben dann jedoch mit geringerem Grad an Verschulden, aber ohne weitere Vergütung durchführen müsse.
Zum Thema „Ermessen des Versammlungsleiters“ äußerte sich sodann Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. Hendrik Schultzky, Nürnberg-Fürth. Der Versammlungsleiter sei lediglich Funktionsgehilfe der Eigentümerversammlung, als solcher sei er an Binnenrecht und Geschäftsordnungsbeschlüsse gebunden, habe aber auch eine ordnungsmäßige Durchführung der Versammlung unter Beachtung demokratischer Prinzipien wie Recht auf Gehör, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten. Bei Covid-Schutzmaßnahmen habe er im Rahmen öffentlich-rechtlicher Vorgaben abzuwägen, er sei aber an Geschäftsordnungsbeschlüsse gebunden, der Verzicht auf eine Niederschrift oder eine Abgabe ausdrücklicher Willenserklärungen könne nicht beschlossen werden. Ein fehlerhafter Versammlungsvorsitz begründe Anfechtungsgründe, wobei bei der Kausalität des Beschlussmangels auf Erfahrungssätze, ob Kausalität vorläge, zurückzugreifen sei. Zur Vermeidung der Überbürdung von Prozesskosten bei erfolgreicher Beschlussanfechtung sollten Weisungen eingeholt werden. Der Referent beendete seine Ausführungen damit, dass der Ozean von „Möglichkeiten bei der Ermessensausübung“ doch oft nur ein Planschbecken sei.
Die Ausführungen von Greiner vertiefend, trug Rechtsanwältin Dr. Ira Hörndler, Nürnberg, über den „Umgang mit Beschlussanträgen von Eigentümern“ vor. Der Verwalter sei verpflichtet, gewünschte Tagesordnungspunkte auf die Ladung zu setzen, wenn die Ladung noch nicht verschickt sei, nach Anlaufen der Drei-Wochen-Frist nur bei Dringlichkeit. Gemäß Urteil des BGH vom 23. 2. 2018 (V ZR 101/16, ZfIR 2018, 630 (LS)) könne bei Vorabbefassung und Nicht-Aufnahme eine Entscheidung durch das Gericht erlassen werden. Bei Erfüllung des Quorums gem. § 24 Abs. 2 WEG sei immer eine Versammlung einzuberufen. Gem. § 18 Abs. 2 WEG können Wohnungseigentümer die Aufnahme eines TOPs verlangen, wenn dies ordnungsmäßiger Verwaltung im Rahmen billigen Ermessens der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entspreche. Der Verwalter sollte Beschlussvorschläge der Miteigentümer berücksichtigen, da er für eine sachgerechte Formulierung der Beschlussvorschläge sorgen muss.
Mit dem „Ermessen der Wohnungseigentümer bei Verwaltungsentscheidungen und dessen Grenzen“ beschäftigte sich Notarin Dr. Melanie Falkner, Ochsenfurt, die Möglichkeiten der Eigentümer am Beispiel der Erhaltungsaufgaben, der Störungsabwehr und Nutzungskonflikten sowie bei der Online-Teilnahme bei Versammlungen aufzeigte. Grundsätzlich seien die Eigentümer in ihren Entscheidungen frei, ein Gericht prüfe nur, ob die Eigentümer auf hinreichend sicherer Tatsachengrundlage ihr Ermessen ausgeübt hätten. Ermessenskriterien seien hiernach die Dringlichkeit, Gefährdungslage für Personen und Folgeschäden, ausreichende Informationsgrundlagen, die Rücksicht auf die Liquidität anderer Eigentümer, Wirtschaftlichkeit und gegebenenfalls Nachhaltigkeit. So müsse die Gemeinschaft bei fehlenden Sanierungsbeschlüssen Schadenersatz leisten, ob Regress bei den Eigentümern genommen werden könne, sei Frage des Einzelfalls, wenn Verschulden vorliegt. Bei Nutzungskonflikten z. B. dem Musizieren in der Wohnung, sei nunmehr wegen § 9a Abs. 2 WEG ein Klagerecht des Einzelnen nicht mehr gegeben. Allerdings wurde die Legitimation eines Miteigentümers zur Ausübung im Plenum unterschiedlich beurteilt. Die Referentin lobte die Vorteile einer Online-Teilnahme nach Beschlussfassung bei Abwägung der Vorteile in der betreffenden Gemeinschaft und fachgerechter Ermöglichung der technischen Umsetzung.
Prof. Dr. Matthias Becker, Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen in Bad Münstereifel, legte den Fokus seines Vortrags auf „Entscheidungsermessen im Rahmen der Finanzverwaltung“. Der Verwalter könne hier jedoch nur Gelder verwalten und Forderungen beitreiben. Der Referent nahm die aktuelle Energiekrise zum Anlass, Formulierungsvorschläge zur Anpassung des Wohngelds, für den Erlass von Absenkungsbeschlüsse, für Umwidmungsbeschlüsse der bestehenden Erhaltungsrücklage, für Sonderumlagen vorzustellen. Die teilnehmenden Verwalter wurden darauf aufmerksam gemacht, dass ein Ermessen bei der Anmeldung bevorrechtigter Beitragsansprüche gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG im Rahmen von 5 % des Verkehrswerts für den Verwalter nicht besteht (BGH v. 8. 12. 2017 – V ZR 82/17, ZfIR 2018, 232 (m. Anm. Becker, S. 235)). Bei ZfIR 2022, 569bereits bestehenden vollstreckbaren Zahlungstiteln müsste die Gemeinschaft die Zwangsversteigerung selbst betreiben und könne sich dann auf ein Veräußerungsverbot zu ihren Gunsten berufen (§ 23 Abs. 1 ZVG). Bei rückständigen Hausgeldern für zwei vorangegangene Jahre ist der Verwalter verpflichtet, rückständige Beitragsansprüche zur Insolvenztabelle anzumelden. Insgesamt habe der Verwalter nur einen weiten Ermessensspielraum bei den Prognosen und den Alternativen zur Anpassung wegen steigender Energiekosten.
Mit dem „Informationsanspruch der Wohnungseigentümer“ befasste sich Richter am Landgericht Dr. Frank Zschieschack, Frankfurt/M., und gab einen Überblick über datenschutzrechtliche Beschränkungen im Rahmen der Einsichtnahme gem. § 18 Abs. 4 WEG. Der Anspruch sei nicht höchstpersönlich und umfasse alle Unterlagen der GdWE, ob digital oder analog. Kopieren, Fotografieren und Scannen durch den Einsichtnehmenden seien erlaubt, ein Rechtsschutzbedürfnis nicht nötig. Das Verlangen lediglich nach Einsicht in die Belege werde gem. § 883 ZPO vollstreckt. Unterlagen seien dann vollstreckungsfähig zu titulieren und eine eidesstattliche Versicherung zu beantragen, wenn Unterlagen nicht herausgegeben würden. Bei der Durchsetzung des Auskunftsanspruchs sei § 888 ZPO einschlägig, als Druckmittel sei einer Vollstreckung durch Zwangshaft gegen den gesetzlichen Vertreter der GdWE, also den Verwalter, der Vorzug zu geben. Gegen die Auskunfts- und Einsichtsansprüche spreche auch nicht die DSGVO, da es sich u. a. gem. Art 6 Abs. 1 lit. f DSGVO um die Wahrnehmung berechtigter Interessen handele. Ungeklärt sei, ob gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO der Datenverarbeitende eine kostenfreie Kopie zur Verfügung stellen müsse, dies wäre besonders fatal, wenn auch der gesamte Schriftverkehr wie E-Mails etc. zu kopieren wäre. Die Entscheidung bereits anhängiger Verfahren beim EuGH sei abzuwarten.
Notar Dr. Felix Wobst, Gerolzhofen, stellte in den Zenit seiner Ausführungen die „Ausübung fremder Verwaltungsrechte“ und wies auf die Delegation individueller Befugnisse im Rahmen der Kompetenzverschiebung auf kollektiver Grundlage hin. Im Grundsatz besteht ein Abspaltungsverbot bereits in § 717 Satz 1 BGB, da mitgliedschaftliche Rechte nicht von der Mitgliedschaft gelöst werden können. Eine Ausübungsüberlassung z. B. für das Stimmrecht gem. § 25 Abs. 3 WEG sei möglich. Der Referent beleuchtete sodann mögliche Kompetenzverschiebungen und Übertragungen von Ermessen der Organe und Mitglieder der Gemeinschaft bei der Erfüllung von Rechten innerhalb des Verbands (Gebrauchs-, Einwirkungs- und Stimmrechte). Bezüglich der Kompetenzverschiebung führt der Referent aus, dass es keinen beschlussfähigen Kernbereich eigener Verwalterkompetenzen gebe, auch einem Beiratsvorsitzenden gegenüber kann die GdWE Rechte entziehen. Die Übertragung von Rechten der Gemeinschaft auf den Eigentümer ist ordnungsgemäß je geringer das objektive Interesse der Gemeinschaft z. B. an einer Rechtsverfolgung ist.
Traditionsgemäß referierte die Vorsitzende Richterin des V. Zivilsenat am BGH, Dr. Bettina Brückner, Karlsruhe, zur aktuellen Rechtsprechung des BGH. Sie stellte zunächst klar, dass im Rahmen des Übergangsrechtes gem. § 48 Abs. 5 WEG für bis zum 30. 11. 2020 anhängig gewordene Beschlussersetzungsklagen das bisherige Verfahrensrecht weitergelte. Nach BGH vom 25. 2. 2022 (V ZR 65/21) muss die GdWE, Gestaltungsurteile gegen sich gelten lassen. Nach BGH vom 28. 1. 2022 (V ZR 106/21, ZfIR 2022, 276 (m. Anm. Lang, S. 280)) besteht für eine gehbehinderte Miteigentümerin das Recht, von einem Supermarktmieter trotz erklärter Duldung der Gemeinschaft das zeitweise Parken in der Zufahrt zu unterlassen. Wegen § 9a Abs. 1 WEG kann nur die GdWE gegen Hindernisse im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums und bauliche Veränderungen sowie die zweckwidrige Nutzung des Sondereigentums klagen. Für das Sondereigentum bestehe lediglich eine Ausübungsbefugnis für Störungen durch Lärm, Gerüche, Versperrung der Aussicht. Dem Recht der Klägerin steht auch ein gegen unverzichtbares Bauordnungsrecht verstoßender, nichtiger Vergemeinschaftungsbeschluss aus 2008 nicht entgegen, die Prozessführungsbefugnis ergebe sich jedoch nur aus der Klageeinreichung vor dem 30. 11. 2020. Die Referentin führte aus, dass sie der Stärkung des Mehrheitswillens positiv gegenüberstehe, ein Ermessen der GdWe könne trotz Verzicht auf eine Klageeinreichung richtig ausgeübt sein, nur gravierende brandschutzrechtliche Mängel müssten regelmäßig beseitig werden. Laut BGH-Urteil vom 12. 11. 2021 (V ZR 204/20, ZfIR 2022, 206 (LS)) entspricht eine Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung einer geregelten Mehrhausanlage ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn für die Grundsanierung nur die Stellplatzeigentümer zahlen müssen, auch wenn die Tiefgarage das Fundament der Wohngebäude bildet. Das BGH-Urteil vom 11. 3. 2022 (V ZR 77/21, ZfIR 2022, 336 (m. Anm. Abramenko, S. 338)) statuiert, dass eine Regelung in der Gemeinschaftsordnung, wonach die Bauträgerin den ersten und bis zum vollständigen Bezug einen anderweitigen Verwalter einseitig bestimmen dürfte, ungültig ist. Das Bestimmungsrecht kann nur bis zur Entstehung der werdenden Gemeinschaft durch die Anlegung der Wohnungsgrundbücher gem. § 9a Abs. 1 Satz 2 WEG ausgeübt werden. Der BGH hat im Urteil vom 8. 7. 2022 (V ZR 202/21, ZfIR 2022, 542 (m. Anm. Dötsch, S. 548) – in diesem Heft) entschieden, dass auch der Miteigentümer einer verwalterlosen Zweier-Gemeinschaft das Recht hat, einen tauglichen Verwalter zu bestellen. Die Auswahl erfolgt nach Mitteilung potenzieller Kandidaten durch das Gericht durch billiges Ermessen. Laut BGH Urteil vom 16. 9. 2022 (V ZR 180/21) vertritt bei einer verwalterlosen Zweier-Gemeinschaft nach Ausscheiden des Minderheiteneigentümers der Mehrheitseigentümer die Gemeinschaft auf der Aktivseite allein. Während der Dauer des Anfechtungsverfahrens bezüglich des Sanierungsbeschlusses ist Zahlung der anteiligen Sonderumlage geschuldet. Ein Klageerhebungsbeschluss muss vom Gericht nur bei sich aufdrängendem evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht geprüft werden. In BGH vom 25. 2. 2022 (V ZR 65/21) ist entschieden, dass ein Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters gem. § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 WEG nur besteht, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint. Auch weit zurückliegende Pflichtverletzungen, z. B. aus 2010, können mit aktuellen Pflichtverletzungen (fehlende Umsetzung von Beschlüssen) zusammengenommen werden. In BGH vom 11. 6. 2021 (V ZR 215/20, ZfIR 2021, 514 (LS)) ist statuiert, dass die Delegation von Instandhaltungsaufträgen bis 4.000 € ZfIR 2022, 570bei einer Jahresobergrenze von 8.000 € auf den Verwalter ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, was bei früher noch nicht geklärter Wertgrenzen jetzt in § 27 Abs. 2 WEG gesetzlich normiert ist. Das Urteil des BGH vom 10. 12. 2021 (V ZR 32/21, ZfIR 2022, 466 (LS)) stellt fest, dass die Beauftragung einer anderen, als der beschlossenen Firma dem Verwalter gem. § 684 BGB nur bereicherungsrechtliche Gegenansprüche eröffnet. Bei nicht beschlossenen Maßnahmen kann der Verwalter nur ersparte Aufwendungen verlangen, für den falschen Handwerker ist ein Abschlag i. H. v. 20 % anzusetzen. Im Urteil des BGH vom 8. 7. 2022 (V ZR 207/21, ZfIR 2022, 498 (m. Anm. Elzer, S. 500)) ist festgestellt, dass bei der Inanspruchnahme von Sondereigentum bei Sanierung i. S. d. § 14 Abs. 4 WEG a. F. der GdWe ein Wahlrecht nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen der zunächst geschuldeten Ersetzungsbefugnis bei Verlangen des Schuldners auch auf Geldersatz zusteht. Nach BGH vom 15. 7. 2022 (V ZR 127/21, ZfIR 2022, 466 (LS)) stört das Wohnen in einem speziell als Gewerbe gewidmeten Teileigentum mehr als die Gewerbeausübung. Nach BGH vom 16. 9. 2022 (V ZR 69/21) ist bei ständigen Wasserschäden in Wohneinheiten zulässig, den hohen Selbstbehalt auch auf die nicht geschädigten gewerblichen Miteigentümer umzulegen, da sonst der Versicherungsschutz grundsätzlich in Frage steht, es kommt jedoch ein Anspruch auf Änderung der Kostenverteilung gem. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG bei unterschiedlicher Schadenshäufung in Betracht. Weiterhin erklärte die Referentin, dass sehr zweifelhaft sei, dass ein Miteigentümer bei einem Schaden im Sondereigentum durch einen im Gemeinschaftseigentum begründeten Leitungsschaden gem. § 14 Abs. 3 WEG einen Anspruch auf Geldersatz habe. Nach BGH vom 15. 10. 2021 (V ZR 225/20, ZfIR 2021, 588 (m. Anm. Elzer, S. 592)) ist ein Nutzungsverbot bestimmter Etagen in einem Hotelparkhaus wegen festgestellter Brandschutzmängel rechtswidrig, da zumindest § 22 WEG keine Anwendung finde, der nur für punktuelle Ereignisse gelte (Brand etc.). Nach BGH vom 30. 9. 2021 (V ZR 258/20, ZfIR 2021, 600 (LS)) gilt für Beschlussklagen, die vor dem 1. 12. 2020 erhoben worden sind, weiterhin § 49a GKG a. F. Verkündungstermine sind zum 11. 11. 2022 hinsichtlich der Vergemeinschaftung von Nacherfüllungsansprüchen der Käufer, zum 13. 1. 2023 auf gegen die übrigen Wohnungseigentümer nach dem 1. 12. 2020 gerichtete Beschlussanfechtungsklagen, und zum 24. 2. 2023 hinsichtlich des Anspruchs auf Unterlassung baulicher Veränderungen geplant.
Einem Praxisthema widmete sich Rechtsanwalt Dr. Michael Casser, Köln, der sich mit „verknappte und verteuerte Ressourcen als Herausforderung für den Verwalter“ beschäftigte. Er nahm insbesondere die Explosion der Energiepreise, Mangel an Handwerkern und Materialknappheit ins Visier, hier müssten Entscheidungen über Lieferverträge und Anpassung der Vorschüsse überlegt werden. Der Referent zeigte, wie sich Verwalter als professionelle Krisenmanager beweisen könnten. Miteigentümer sollten im Rahmen der Kommunikation einfühlsam und reaktiv behandelt werden, gleichwohl müsse die Gemeinschaft – mit sämtlichen verfügbaren Informationen versorgt – entscheiden. Das Ermessen des Verwalters fände bei der Erstellung des Wirtschaftsplans eine Grenze, § 28 WEG sei lex specialis, hier sei ein Beschluss daher immer notwendig. Wirtschaftspläne dürften und sollten fortgelten. Wenn angebotene Lieferfristen vor der Versammlung bereits abgelaufen wären oder eine unklare Liefersituation mit diversen Bedingungen bestünde, sollten sich Verwalter nicht verantwortlich fühlen, aber Vorbereitungs- und Hinweispflichten auch bei noch nicht „entscheidungsreifen“ Situationen erfüllen. Nach neuer Gesetzeslage könnten zudem die Entscheidungen über die Vergabe des Auftrags nach Vorliegen der Vergleichsangebote und vor Ablauf der Annahmefrist auf den Verwalter delegiert werden, wenn es sich nicht um bauliche Veränderungen und deren Kostenverteilung oder die Finanzierung im Rahmen von Abrechnungen und Wirtschaftsplan handele. Eine Regelung, wie bei Ausbleiben oder Unverwertbarkeit der Angebote verfahren werden solle, sollte beigefügt werden. Allerdings ist der Verwalter verpflichtet, die auf ihn delegierten, auch erst durch Beschluss geschaffenen, Kompetenzen zu übernehmen, er kann sein Amt jedoch niederlegen. Der Referent empfahl Verantwortung zu übernehmen, jedoch auf objektiv zu beurteilende Entscheidungsbedingungen bei der Kompetenzeinräumung zu bestehen und keine unbestimmten Vorgaben, wie „bester“ oder „günstigster“ Anbieter oder „in Abstimmung mit dem Beirat“ zuzulassen. Muster von Grundsatzbeschlüssen hinsichtlich der Finanzierung des Haushalts rundeten das Referat ab.
Notar a. D. Dr. Julius Forschner, Würzburg, beschäftigte sich mit „Öffnungsklauseln als Herausforderung für den Verwalter“. Grundlegend sei hier § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG, wonach Wohnungseigentümer durch Beschluss nur entscheiden können, wenn nicht eine Vereinbarung besteht. Die in Vereinbarungen bisweilen enthaltenen Öffnungsklauseln führten zur Beschlusskompetenz, jedoch nicht für Entscheidungen zum sachenrechtlichen Grundverhältnis oder zur Aushebelung nach den §§ 134, 138, 242 BGB und zur Anfechtbarkeit, wenn ein verlangtes Quorum nicht erreicht wird. Im Urteil des BGH v. 10. 10. 2014 (V ZR 315/13, ZfIR 2015, 67 (m. Anm. Armbrüster/Böttger, S. 70)) erklärte der Referent verzichtbare, also mit Zustimmung des Eigentümers abdingbare bzw. unentziehbare Rechte, also einer Mehrheitsentscheidung gegen den Willen des Betroffenen nicht zugängliche Rechte. Unentziehbar sei z. B. die gegebene Erlaubnis zu vermieten, weiterhin unentziehbare, aber verzichtbare Rechte Rauchverbot und Verbot der Tierhaltung, wobei jeweils eine Abwägung der verschiedenen Grundrechtspositionen erforderlich ist. Gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 WEG müssten Beschlüsse, die aufgrund einer Vereinbarung getroffen sind, in das Grundbuch eingetragen werden. Der Referent wies auf § 48 Abs. 1 Satz 1 WEG hin, wonach bei Beschlüssen, die vor Inkrafttreten des WeMoG gefasst wurden, ein Anspruch auf Wiederholung bis 31. 12. 2025 besteht, der durch gerichtlich zu überprüfenden Zweitbeschluss allerdings aufgehoben werden kann.
Im Wissen, dass man durch Kompetenzübertragung einfacher und mehr entscheiden könne, dies aber zu höherer Verantwortung und Haftung führt, verließen die Teilnehmer die Veranstaltung. Gefragt, äußerten viele, dass das Zusammentreffen besonders in diesem Jahr als wichtiger Informationsaustausch bewertet wurde, da Ausblicke in die rechtliche Zukunft, aber auch viele Musterbeispiele für Beschlüsse und Tipps für die tägliche Arbeit offenbart worden waren; nicht zuletzt konnten die Teilnehmer bei der Jubiläumsabendveranstaltung den Gedankenaustausch weiterführen.
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Rechtsanwältin und Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, München

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