ZfIR 2012, 185

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, KölnRWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln1433-0172Zeitschrift für ImmobilienrechtZfIR2012RechtsprechungVerfahrens- und VollstreckungsrechtGG Art. 3 Abs. 1Verletzung des Willkürverbotes im Zwangsversteigerungsverfahren („Fair trial“)GGArt. 3BVerfG, Beschl. v. 26.10.2011 – 2 BvR 1856/10BVerfGBeschl.26.10.20112 BvR 1856/10

Leitsätze der Redaktion:

1. Nicht jeder Verstoß gegen eine einfachrechtliche Hinweispflicht verletzt zugleich Art. 3 Abs. 1 GG. Jedoch liegt im Zwangsversteigerungsverfahren eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG „Fair trial“) vor, wenn
a. im konkreten Fall ein einfachrechtlich gebotener und für den Betroffenen besonders wichtiger Hinweis unterblieben ist und
b. das Unterbleiben des Hinweises bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken sachlich nicht mehr verständlich ist.
Dabei kann der Umstand eine Rolle spielen, dass das Gericht beabsichtigt, einer nur wenig verbreiteten Meinung zu folgen.
2. Nach dem Gesetzeswortlaut von § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG liegt es nahe, dass es sich beim „Berechtigten“ nicht um einen „Beteiligten“ i.S.d. § 9 ZVG handeln muss und das Bestehen der Antragsberechtigung nach § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG somit nicht von einer Anmeldung des Rechts nach § 9 Nr. 2 ZVG abhängig ist. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der in § 9 ZVG genannte Kreis der „Beteiligten“ für Sonderfälle durch andere Einzelnormen erweitert sein kann.
3. Soweit es nach Auffassung des die Zwangsversteigerung leitende Rechtspflegers auf eine „ausdrückliche“ und nicht nur konkludente Willenserklärung des Forderungsinhabers ankommen soll, muss in diesem Fall der Rechtspfleger den Rechtsinhaber, der ansonsten mit seinem Recht völlig auszufallen droht, nach dem – auch in Verfahren nach dem Zwangsversteigerungsgesetz geltenden § 139 ZPO rechtzeitig hierauf hinweisen.
So wenig der die Zwangsversteigerung leitende Rechtspfleger tatenlos zusehen darf, wenn ein Beteiligter infolge eines unterlassenen sachlich gebotenen Antrags nach § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG einen Rechtsverlust erleidet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23.7.1992 – 1 BvR 14/90 –, a.a.O.), so wenig darf der die Zwangsversteigerung leitende Rechtspfleger untätig bleiben, wenn – wie hier – bei einem Berechtigten, der den sachlich gebotenen Antrag gem. § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG gestellt hat, ein Rechtsverlust zu erwarten ist, weil er es an einer für erforderlich gehaltenen ausdrücklichen Anmeldung seines Rechts habe fehlen lassen; vielmehr muss der Rechtspfleger dem Berechtigten einen Hinweis erteilen.
Bei nicht oder nicht rechtzeitig erfolgtem Hinweis muss das Landgericht auf zulässige sofortige Beschwerde des Rechtsinhabers den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts aufheben.
4. Das Unterlassen des gebotenen und wegen des drohenden Verlusts der Grundschuld für die Beschwerdeführerin besonders wichtigen Hinweises und die Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens mit dem Erlass des Zuschlagsbeschlusses durch das Amtsgericht stellen einen so erheblichen Verfahrensverstoß dar, dass in der Nichtbeanstandung durch das Landgericht eine objektiv nicht mehr verständliche Anwendung des Verfahrensrechts gesehen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23.7.1992 – 1 BvR 14/90, a.a.O.).
Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf dem damit gegebenen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Die angegriffenen Beschlüsse ware deshalb aufzuheben und die Sache war an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

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