BGH, Beschluss vom 24. September 2020 - V ZB 90/19

02.11.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

24. September 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


WEG § 43 Nr. 1; GVG § 72 Abs. 2


Ansprüche aus einem Vertrag über den Erwerb von Wohnungseigentum zählen nicht zu den in § 43 Nr. 1 WEG genannten Streitigkeiten; das gilt auch dann, wenn sie auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet sind und die Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin (nur) aus den Vertragsparteien besteht.


BGH, Beschluss vom 24. September 2020 - V ZB 90/19 - LG Stuttgart, AG Calw


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. September 2020 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart - 10. Zivilkammer - vom 29. Mai 2019 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 5.000 €.

Gründe:

[1] I. Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage, zu der zwei Gebäude gehören, stand ursprünglich im Eigentum einer Bank. Bereits vor der geplanten Aufteilung in Wohnungseigentum verkaufte die Bank (im Folgenden: Verkäuferin) die Einheit Nr. 2, der das Sondereigentum an einem der Gebäude zugeordnet ist, an die Beklagte. Der Kaufvertrag sah folgende Klausel vor: "Der Erwerber verpflichtet sich, gegen Bauvorhaben des jeweiligen Eigentümers der Einheit Aufteilungsplan Nr. 1 keine Einwendungen zu erheben, sofern diese baurechtlich zulässig sind". Die anschließend errichtete Teilungserklärung hingegen enthält in diesem Punkt folgende Regelung: "Soweit rechtlich möglich, hat jeder Sondereigentümer das Recht, ohne die Zustimmung der anderen Umbaumaßnahmen an ‚seinem' Gebäude auf seine Kosten vorzunehmen." Im Jahr 2014 erwarben die Kläger von der Verkäuferin die Einheit Nr. 1, zu der das andere Gebäude gehört.

[2] Gestützt auf abgetretene vertragliche Ansprüche der Verkäuferin verlangen die Kläger von der Beklagten die Zustimmung zu einer Änderung der Teilungserklärung dahingehend, dass die in dem Kaufvertrag enthaltene Regelung vereinbart ist. Das Amtsgericht Calw hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2018 stattgegeben. In der Rechtsmittelbelehrung wird das Landgericht Tübingen als zuständiges Berufungsgericht genannt. Die Beklagte hat die Berufung mit einem am 15. Januar 2019 eingegangenen Schriftsatz bei dem gemäß § 72 Abs. 2 GVG für Wohnungseigentumssachen zuständigen Landgericht Stuttgart eingelegt. Dort ist das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen worden. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde und beantragt hilfsweise die Verweisung an das Landgericht Tübingen sowie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

[3] II. Das Berufungsgericht hält sich für unzuständig. Es handele sich nicht um eine Berufung in Wohnungseigentumssachen im Sinne von § 72 Abs. 2 GVG. Die allein in Betracht kommende Zuständigkeit gemäß § 43 Nr. 1 WEG setze voraus, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen in einem inneren Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis stünden. Daran fehle es nach einhelliger Auffassung, wenn schuldrechtliche Ansprüche nicht aus einer spezifisch wohnungseigentumsrechtlichen Verbindung resultierten. So liege es hier, weil die Klage ausschließlich auf den abgetretenen Anspruch auf Abänderung der Teilungserklärung aus dem Kaufvertrag zwischen der Beklagten und der Verkäuferin gestützt werde. Dass die Entscheidung Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung der Parteien als Wohnungseigentümer habe, reiche für den Gemeinschaftsbezug nicht aus.

[4] III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder ist eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 ­ V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN).

[5] 1. Rechtsfehlerfrei verneint das Landgericht Stuttgart seine Zuständigkeit, weil es sich nicht um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 72 Abs. 2 i.V.m. § 43 Nr. 1 WEG handelt.

[6] a) Zu den Wohnungseigentumssachen gehören gemäß § 43 Nr. 1 WEG unter anderem Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander; diese Bestimmung ist weit auszulegen. Ausschlaggebend für die Zuständigkeit des Gerichts ist nicht die jeweilige Rechtsgrundlage, aus der die Ansprüche hergeleitet werden, sondern allein der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 ­ V ZR 313/16, WuM 2020, 180 Rn. 6 mwN).

[7] b) Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Rechtsstreit nicht als Wohnungseigentumssache ansieht. Seinen Feststellungen zufolge wird die Klage ­ wenn auch unter Hinweis auf § 10 Abs. 3 WEG und die angestrebte Bindung von späteren Sondernachfolgern ­ ausschließlich auf abgetretene Ansprüche aus der kaufvertraglichen Rechtsbeziehung zwischen der Verkäuferin und der Beklagten gestützt. Zwar hat das Amtsgericht von sich aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG mit einem Satz geprüft und als offenkundig nicht einschlägig angesehen. Der Klage hat es aber aus abgetretenem Recht der Verkäuferin stattgegeben, und dagegen richtet sich die Berufung. Maßgeblich ist deshalb, ob im Verhältnis zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien, aus denen sich die Wohnungseigentümergemeinschaft jedenfalls zunächst zusammensetzte, die Anforderungen des § 43 Nr. 1 WEG erfüllt sind.

[8] Das ist nicht der Fall. Der Einordnung als Wohnungseigentumssache steht zwar für sich genommen nicht entgegen, dass die Verkäuferin bereits vor Rechtshängigkeit aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschieden ist (vgl. Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 ­ V ZR 313/16, aaO Rn. 8 mwN). Wie das Berufungsgericht richtig sieht, entspricht es aber einhelliger Ansicht, dass Ansprüche aus einem Vertrag über den Erwerb von Wohnungseigentum nicht zu den in § 43 Nr. 1 WEG genannten Streitigkeiten zählen (vgl. LG Frankfurt, ZWE 2014, 141 f.; Bärmann/Roth, WEG, 14. Aufl., § 43 Rn. 67; BeckOK WEG/Elzer [1.8.2020], § 43 Rn. 139; Then in Spielbauer/Then, WEG, 3. Aufl., § 43 Rn. 10; Niedenführ in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl., § 43 Rn. 21; so bereits für das vor dem 1. Juli 2007 geltende Recht Senat, Urteil vom 21. Juli 1974 ­ V ZR 164/72, BGHZ 62, 388, 389 f.; OLG Düsseldorf, MDR 1983, 320; OLG Stuttgart, ZMR 1990, 190, 191); das gilt auch dann, wenn sie ­ wie hier ­ auf eine Änderung der Gemeinschaftsordnung gerichtet sind und die Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin (nur) aus den Vertragsparteien besteht. Der fehlende innere Zusammenhang mit einer Angelegenheit, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist, liegt bei kaufvertraglichen Übereignungs- oder Zahlungsansprüchen sowie hinsichtlich der Sachmängelhaftung auf der Hand. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn ein Anspruch auf Änderung der Teilungserklärung aus dem Kaufvertrag oder im Zusammenhang damit - wie es das Amtsgericht hier angenommen hat - aus allgemeinen Rechtsgrundlagen wie § 812 BGB abgeleitet wird; der Beklagte wird auch dann nicht als Wohnungseigentümer, sondern als Vertragspartei in Anspruch genommen. Eine Differenzierung ­ wie sie die Rechtsbeschwerde für angezeigt hält ­ zwischen verschiedenen vertraglichen Ansprüchen oder danach, ob die Vertragsparteien zugleich die Wohnungseigentümer sind, verbietet sich schon wegen der aus Gründen der Rechtsmittelklarheit gebotenen Typisierung.

[9] 2. Ohne Erfolg beantragt die Rechtsbeschwerde eine Verweisung an das zuständige Landgericht Tübingen in analoger Anwendung von § 281 ZPO. Die Voraussetzungen für eine solche Verweisung sind nur dann gegeben, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 ­ V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 11). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es entspricht ­ wie gezeigt ­ einhelliger und zutreffender Ansicht, dass Ansprüche aus Erwerbsverträgen über Wohnungseigentum keine Wohnungseigentumssachen sind.

[10] 3. Den Vortrag der Beklagten, wonach die zuständige Amtsrichterin auf telefonische Nachfrage im Widerspruch zu der zutreffenden schriftlichen Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt habe, dass das Landgericht Stuttgart zuständig sei, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei als unerheblich angesehen. Denn den Hinweis des Landgerichts Stuttgart auf die Unzuständigkeit hat die Beklagte nicht zum Anlass genommen, Berufung bei dem zuständigen Landgericht Tübingen einzulegen und dort Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu beantragen. Nur im Rahmen eines solchen Wiedereinsetzungsantrags vor dem zuständigen Berufungsgericht käme es darauf an, ob Fehler des Gerichts kausal für die Versäumung der Frist waren und ob ein unverschuldeter Rechtsirrtum anzunehmen ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 9. März 2017 ­ V ZB 18/16, NZM 2017, 481 Rn. 13 ff.; Beschluss vom 28. September 2017 ­ V ZB 109/16, ZMR 2018, 233 Rn. 14 f.).

[11] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert hat der Senat gemäß § 3 ZPO in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts festgesetzt.

Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner

Göbel Haberkamp

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