BGH, Beschluss vom 30. Mai 2017 - VIII ZB 15/17

05.07.2017

BUNDESGERICHTSHOF

vom

30. Mai 2017

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 520 Abs. 3


Erfüllt ein Schriftsatz, mit dem um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht wird, zugleich auch die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung, setzt die Annahme, er sei nicht als unbedingte Berufungsbegründung bestimmt, voraus, dass sich dies aus dem Schriftsatz beziehungsweise seinen Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 185/08, NJW-RR 2009, 433 Rn. 9; vom 27. Mai 2009 - III ZB 30/09, FamRZ 2009, 1408 Rn. 7; vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, NJW-RR 2012, 755 Rn. 11; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 131/15, FamRZ 2015, 1791 Rn. 18; jeweils mwN).


BGH, Beschluss vom 30. Mai 2017 - VIII ZB 15/17 - LG Osnabrück, AG Osnabrück


Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Hoffmann

beschlossen:

Im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 5. April 2017 wird den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der eingelegten Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 19. Dezember 2016 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - der vorbezeichnete Beschluss des Landgerichts Osnabrück hinsichtlich der ausgesprochenen Verwerfung der Berufung als unzulässig aufgehoben.

Der Antrag der Beklagten, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren, ist gegenstandslos.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 1.100 €

Gründe:

[1] I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Mietkaution für eine von ihnen angemietete Wohnung des Klägers, die ehemals im Eigentum der in Privatinsolvenz geratenen Beklagten zu 2 stand.

[2] Das Amtsgericht hat die Beklagten durch Versäumnisurteil zur Zahlung rückständiger Mieten und einer nicht geleisteten Mietkaution in Höhe von insgesamt 1.975 € nebst Zinsen verurteilt. Auf den gegen die Verurteilung zur Zahlung von 1.100 € Mietkaution (nebst Zinsen) eingelegten Einspruch der Beklagten hat das Amtsgericht mit Schlussurteil vom 15. Juni 2016 das Versäumnisurteil im angegriffenen Umfang aufrechterhalten und die Beklagten aufgrund einer Klageerweiterung zusätzlich zur Zahlung rückständiger Mieten in Höhe von 774,90 € nebst Zinsen verurteilt.

[3] Gegen dieses - ihrem Prozessbevollmächtigten am 16. Juni 2016 zugestellte - Urteil haben die Beklagten form- und fristgerecht beim Landgericht Berufung eingelegt. Die Frist zur Berufungsbegründung ist antragsgemäß bis 16. September 2016 verlängert worden. Mit am letzten Tag der verlängerten Frist beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz haben die Beklagten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

[4] Der Schriftsatz enthält zugleich den Hinweis, welche Anträge nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsverfahren gestellt werden sollten. Danach sollte eine Abänderung des angefochtenen Urteils nur hinsichtlich der Kautionsforderung (1.100 €) begehrt werden. Weiter enthält der vom Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterzeichnete Schriftsatz eine - inhaltlich und auch vom Aufbau den üblichen Gepflogenheiten einer Berufungsbegründung entsprechende - Begründung, die eingeleitet wird mit den Sätzen:

"Eine Erklärung der Antragsteller über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse nebst Belegen fügen wir - nur für das Gericht - bei. Die Anträge für das Berufungsverfahren werden sodann wie folgt begründet werden."

[5] Im Hinblick auf die angeführten Passagen hat der Vorsitzende der Berufungskammer den Prozessbevollmächtigten der Beklagten darauf hingewiesen, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist sei nur eine bedingte, an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe geknüpfte Berufungsbegründung eingegangen, weswegen das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen sei. Die Beklagten haben daraufhin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und sich dabei darauf berufen, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei vor einer Entscheidung über die Zulässigkeit ihrer Berufung zunächst über den gestellten Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden.

[6] Hierauf hat das Landgericht den Beklagten zwar mit Beschluss vom 4. November 2016 Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens bewilligt. Deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine Versäumung der Begründungsfrist hat es aber mit Beschluss vom 19. Dezember 2016 zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagten hätten bereits nicht dargetan, dass ihre Mittellosigkeit für die Versäumung der Begründungsfrist kausal geworden sei. Immerhin habe ihr Prozessbevollmächtigter bereits im Prozesskostenhilfegesuch ausführlich dargelegt, wie die Berufung im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe voraussichtlich begründet und welcher Antrag gestellt werden würde. Zudem hätten die Beklagten die versäumte Prozesshandlung nicht - wie gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderlich - nachgeholt.

[7] Mit am 18. Januar 2017 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz haben die Beklagten um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde gegen diesen - ihnen am 23. Dezember 2016 zugestellten - Beschluss nachgesucht. Dem hat der Senat mit Beschluss vom 14. März 2017 (VIII ZA 3/17) entsprochen, der dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 17. März 2017 zugestellt worden ist. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit am 22. März 2017 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt. Der Senat hat mit Beschluss vom 5. April 2017 den Beklagten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bewilligt. Am 11. April 2017 ist die Begründung der Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingegangen.

[8] II. Den Beklagten ist antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 1, § 236 Abs. 1, 2 ZPO).

[9] III. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der ausgesprochenen Verwerfung der Berufung als unzulässig und zur Klarstellung, dass der gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die vermeintliche Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gegenstandslos ist.

[10] 1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, denn es hat die Anforderungen an eine Berufungsbegründung überspannt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, BGHZ 165, 318, 320; vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07, juris Rn. 5) und damit den Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert.

[11] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der am 16. September 2016 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz nicht nur eine Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs enthält, sondern bei gebotener Auslegung zugleich auch zur Begründung der Berufung bestimmt war. Die Berufung der Beklagten hätte daher, ohne dass sich die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung stellte, nicht als unzulässig verworfen werden dürfen.

[12] a) Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass eine - wie hier - unbedingt eingelegte Berufung unzulässig ist, wenn bis zum Ablauf der Begründungsfrist nur ein Schriftsatz eingeht, dem nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, ob er zur Begründung des Rechtsmittels bestimmt ist. Ein solcher Fall liegt auch dann vor, wenn von einer Bedingung abhängig gemacht wird, ob er als Berufungsbegründung gelten soll (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO S. 320 f.). Daher muss der Rechtsmittelführer bei grundsätzlich zulässiger Verbindung eines Rechtsmittels oder seiner Begründung mit einem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe alles vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, er wolle eine "künftige" Prozesshandlung lediglich ankündigen und sie von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig machen (BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 1986 - IVb ZB 55/86, FamRZ 1986, 1087; vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 unter I 2 b aa; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04,

FamRZ 2004, 1553 unter II 2 a; vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO; vom 27. Mai 2009 - III ZB 30/09, FamRZ 2009, 1408 Rn. 7; vom 7. März 2012

­ XII ZB 421/11, NJW-RR 2012, 755 Rn. 11).

[13] b) Jedoch hat das Berufungsgericht die in dem am 16. September 2016 eingegangenen Schriftsatz zum Ausdruck kommende Willensrichtung der Beklagten nicht hinreichend geprüft. Der Senat kann die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung der Prozesserklärung uneingeschränkt nachprüfen und die erforderliche Auslegung selbst vornehmen (BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, aaO unter I 2 b; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, aaO unter II 2 a; vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, aaO Rn. 12; jeweils mwN).

[14] aa) Dabei ist nicht allein auf den Wortlaut abzustellen; vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2016 - V ZR 272/15, NJW-RR 2016, 1404 Rn. 10 mwN). Maßgebend ist letztlich, ob sich beim Fehlen einer ausdrücklich erklärten Bestimmung als Berufungsbegründung eine solche aus dem Zusammenhang der in dem Schriftsatz erfolgten Ausführungen und seinen Begleitumständen ergibt (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 131/15, NJW-RR 2015, 1409 Rn. 18). Dabei kommt es allein auf den vom Berufungskläger erklärten, nach außen hervorgetretenen Willen im Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes an (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 131/15, aaO mwN); "klarstellende" Parteierklärungen nach Ablauf der Begründungsfrist bleiben unberücksichtigt (BGH, Beschlüsse vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07, aaO Rn. 8 mwN; vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, aaO Rn. 19).

[15] bb) Hiervon ausgehend ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Einreichung eines Prozesskostenhilfeantrags verbunden mit einem Schriftsatz, der die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder an eine Berufungsbegründung erfüllt, regelmäßig als unbedingt eingelegtes und begründetes Rechtsmittel zu behandeln (BGH, Beschluss vom 25. September 2007

- XII ZB 6/07, aaO Rn. 7). Die Annahme, ein entsprechender Schriftsatz sei nicht als unbedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt, ist in solchen Fällen nur dann gerechtfertigt, wenn sich dies entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, aaO unter I 2 b aa mwN; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, aaO; vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO; vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07, NJW-RR 2007, 1565 Rn. 10; vom 25. September 2007 - XII ZB 6/07, aaO; vom 17. Dezember 2008 - XII ZB 185/08 - NJW-RR 2009, 433 Rn. 9; vom 27. Mai 2009 - III ZB 30/09, aaO; vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, aaO Rn. 11; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 131/15, aaO; vom 16. Juni 2016 - IX ZB 22/15, juris Rn. 5). Denn im Allgemeinen will keine Partei die mit einer Fristversäumung verbundenen Nachteile in Kauf nehmen (BGH, Beschlüsse vom 16. August 2000 - XII ZB 65/00, NJW-RR 2001, 789 unter II mwN; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, aaO; vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO; vom 5. März 2008 - XII ZB 182/04, NJW 2008, 1740 Rn. 12; vom 27. Mai 2009 - III ZB 30/09, aaO; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 131/15, aaO mwN).

[16] cc) Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen ist im Streitfall davon auszugehen, dass der am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangene Schriftsatz sich nicht in einem Prozesskostenhilfegesuch erschöpft, sondern zugleich die Rechtsmittelbegründung enthält.

[17] (1) Der vom postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten eigenhändig unterzeichnete (§ 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO) Schriftsatz ist zwar nicht ausdrücklich als Berufungsbegründung bezeichnet, er erfüllt aber die inhaltlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Denn er enthält nicht nur die Erklärung, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten und welcher Berufungsantrag gestellt werden soll (§ 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), sondern auch die konkreten Berufungsangriffe gegen die vom Amtsgericht dem Kläger zuerkannte Mietkaution. Dabei werden sowohl die Umstände, aus der sich die gerügte Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben sollen (§ 530 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) bezeichnet, als auch konkrete Anhaltspunkte, die konkrete Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil wecken sollen (§ 530 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Es bedarf daher einer eindeutigen, jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden ausdrücklichen Erklärung, dass noch keine unbedingte Berufungsbegründung erfolgen solle. Daran fehlt es im Streitfall.

[18] (2) Das Berufungsgericht hat die in dem angefochtenen Beschluss getroffene Feststellung, die Beklagten hätten die Frist zur Begründung der Berufung versäumt, nicht näher begründet. Ausweislich des vom Vorsitzenden der Berufungskammer zuvor erteilten Hinweises hat dieser im Hinblick auf die den Berufungsantrag und die Berufungsangriffe einleitenden Passagen ("Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll beantragt werden"; "Die Anträge des Berufungsverfahrens werden sodann wie folgt begründet werden") angenommen, die Berufungsbegründung sei von der Bedingung abhängig gemacht worden, dass Prozesskostenhilfe gewährt werde, so dass innerhalb der verlängerten Begründungsfrist keine ordnungsgemäße Berufungsbegründung eingegangen sei. Diese - offensichtlich auch dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende - Beurteilung hat nicht alle auslegungsrelevanten Umstände in den Blick genommen.

[19] (a) Zwar kann unter Umständen eine für die Annahme einer derartigen Bedingung sprechende ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung darin gesehen werden, dass der entsprechende Schriftsatz selbst ausdrücklich als "Entwurf einer Berufungsbegründung" oder als "Begründung zunächst nur des Prozesskostenhilfegesuchs" bezeichnet wird, von einer "beabsichtigten Berufungsbegründung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass die Berufung "nach Gewährung von Prozesskostenhilfe" begründet werde (BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, aaO; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, aaO; vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO S. 322 f.; vom 7. März 2012 - XII ZB 421/11, aaO). Entscheidend sind aber die jeweiligen Umstände des Einzelfalles (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO; vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07, aaO Rn. 13; vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04, aaO; vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94, aaO mwN). Insbesondere kann eine einem angekündigten Antrag vorausgestellte Wendung "Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe werde ich beantragen" auch nur als eine temporale Staffelung (zunächst/nach Bewilligung) gemeint sein, die nicht im Sinne einer Bedingung, sondern nur als Ausdruck des legitimen Wunsches zu verstehen ist, über die Gewährung von Prozesskostenhilfe möge vorab entschieden werden, gegebenenfalls verbunden mit der - unschädlichen - Ankündigung, die weitere Durchführung der Berufung solle vom Umfang der Bewilligung abhängig gemacht werden (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO).

[20] (b) So verhält es sich bei zutreffender Auslegung des am 16. September 2016 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatzes.

[21] (aa) Der Schriftsatz ist zwar nicht mit der Bezeichnung Berufungsbegründung überschrieben. Er ist aber auch nicht als bloßes Prozesskostenhilfegesuch bezeichnet worden; vielmehr trägt er überhaupt keine Überschrift. Aufbau und Begründungsweise des Schriftsatzes entsprechen den üblicherweise bei einer Berufungsbegründung anzutreffenden Gepflogenheiten.

[22] Es wird in Fettdruck ein bestimmter Berufungsantrag angekündigt, was im Hinblick darauf, dass Anträge erst in der mündlichen Verhandlung verlesen (§§ 525, 297 ZPO) und damit gestellt werden, der Üblichkeit entspricht und damit nicht eindeutig auf eine Bedingung schließen lässt. Im Rahmen des angekündigten Berufungsantrags hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auch bereits festgelegt, in welchem Umfang die zunächst uneingeschränkt eingelegte Berufung zu begründen war; das Urteil des Amtsgerichts sollte nicht in vollem Umfang, sondern nur hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung von 1.100 € Kaution angegriffen werden. Vor diesem Hintergrund lässt der Zusatz, dass "nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt werde", für sich genommen nicht die erforderliche zweifelsfreie Deutung zu, dass die Berufungsbegründung nur bedingt unter der Voraussetzung der Gewährung von Prozesskostenhilfe erfolgen solle und hiermit nicht lediglich zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass allein die weitere Durchführung des Berufungsverfahrens (einschließlich der Auslösung von anwaltlichen Termingebühren) von der Gewährung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werden sollte.

[23] Entsprechendes gilt - sowohl für sich genommen als auch im Zusammenhang mit der den Berufungsantrag ankündigenden Wendung - für die im Anschluss an den angekündigten Antrag unter der hervorgehobenen Überschrift "Begründung" geführten Berufungsangriffe. Dabei wird nicht auf die inhaltlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 114 ZPO (hinreichende Erfolgsaussicht, keine Mutwilligkeit) eingegangen; vielmehr werden bereits die aus Sicht des Prozessbevollmächtigten gegen die Zuerkennung einer Mietkaution von 1.100 € erforderlichen Berufungsangriffe im Sinne von § 520 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO im Einzelnen ausgeführt. Von einer klassischen Berufungsbegründung unterscheidet sich der Schriftsatz letztlich nur dadurch, dass dem Berufungsantrag vorangestellt ist ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, dass der sich daran anschließend angekündigte Berufungsantrag mit der Wendung eingeleitet wird: "Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll beantragt werden" und dass vor der nachfolgenden Überschrift "Begründung" ausgeführt ist: "Eine Erklärung der Antragsteller über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse fügen wir - nur für das Gericht - bei. Die Anträge des Berufungsverfahrens werden sodann wie folgt begründet werden [...]."

[24] (bb) Für eine Bedingung dahin, dass der Schriftsatz nur dann als Berufungsbegründung gelten sollte, sofern und soweit Prozesskostenhilfe bewilligt würde, gab es bei vernünftiger Betrachtung auch keinen Anlass. Die Beklagten hatten bereits unbedingt Berufung eingelegt und damit schon das Kostenrisiko eines Rechtsmittels auf sich genommen. In Anbetracht dieser Interessenlage und der im Schriftsatz bereits im Einzelnen ausgeführten Berufungsangriffe sind keine plausiblen Gründe ersichtlich, die die Beklagten oder ihren Prozessbevollmächtigten - trotz der erfolgten eingehenden Befassung mit der Frage der Begründetheit der Berufung - davon hätten abhalten können, vorerst noch von einer endgültigen Berufungsbegründung abzusehen.

[25] Zwar mögen für die Frage, ob neben einem Antrag auf Prozesskostenhilfe zugleich auch schon das Rechtsmittel eingelegt werden soll oder nicht, regelmäßig Kostengesichtspunkte eine Rolle spielen. Ist das Rechtsmittel aber

- wie hier - bereits eingelegt, erübrigen sich derartige Überlegungen regelmäßig (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO S. 321 f.). Im Streitfall sprechen Kostengesichtspunkte sogar gegen die Auslegung, dass noch keine Berufungsbegründung erfolgen sollte. Denn bei Einlegung der Berufung der Beklagten entsprach der Streitwert deren erstinstanzlicher Beschwer (Kaution und Mietrückstände). Bei diesem höheren Gebührenstreitwert wäre es geblieben, wenn der hier zu beurteilende Schriftsatz nicht dazu bestimmt gewesen wäre, die Berufung zu begründen und den Umfang der Anfechtung zu begrenzen. Allein als Berufungsbegründung konnte dieser Schriftsatz infolge des darin angekündigten eingeschränkten Berufungsantrages, mit dem die Verurteilung zur Zahlung von Mietrückständen hingenommen worden ist, zu einem geringeren Streitwert und damit zu geringeren Kosten führen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - XII ZB 33/05, aaO).

[26] (c) Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte nach dem Hinweis des Berufungsgerichts nicht mitgeteilt hat, er habe unbedingt Berufung eingelegt, sondern stattdessen einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt hat, ist unbeachtlich (BGH, Beschlüsse vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07, aaO Rn. 8 mwN; vom 7. März 2012

- XII ZB 421/11, aaO; vgl. auch Beschluss vom 16. Juni 2016 - IX ZR 22/15, aaO Rn. 6). Auf spätere Stellungnahmen kommt es nicht an, weil allein die Umstände, die bis zum Ablauf der Begründungsfrist erkennbar waren, maßgeblich sind. Außerdem lag der Fokus des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei dieser Stellungnahme darauf, das Gericht darauf hinzuweisen, dass nach

höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Verwerfung der Berufung als unzulässig nicht vor der Entscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch erfolgen darf.

Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer

Dr. Bünger Hoffmann

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